Heimatverein "Alter Krug" Zossen e.V.

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Seit kurzem ist der Heimatverein Zossen im Besitz der Urkunde, in welcher der Magistrat und Stadtverordnete der Stadt Zossen am 3. Juli 1927 Franz Oertel zum Ehrenbürger der Stadt Zossen ernannten. Der Ledermappe mit der Ehrenbürgerurkunde lag noch eine weitere Urkunde bei. Danach war Franz Oertel der Kirchenälteste und erhält von der Evangelischen Kirche der Mark Brandenburg in „dankbarer Anerkennung langjähriger und treuer Arbeit im Dienste für Kirche und Gemeinde“ am 1. Juli 1929 eine Ehrenurkunde. Der Zossener Chronik von Louis Günther ist zu entnehmen, dass man bereits 1924 die nach der Revolution abgegangenen Ratmänner Franz Oertel, Ernst Götze und Karl Schwietzke zu Stadtältesten ernannte. „Der Ratman Bernhard Fink und dem Stadtarzt Geheimen Sanitätsrat Dr. v. Ubisch wurde das Ehrenbürgerrecht angetragen“ (S. 109).1

Wenn in Zossen der Name Oertel fällt, verbinden die Bewohner der Stadt den Namen zumeist mit dem Oertelufer, der KITA am Oertelufer und dem Industriedenkmal Kalkschachtöfen. Über die Kalkschachtöfen wurde schon viel geschrieben. Eigentlich könnte das gegenüberliegende Ufer auch Oertelufer heißen. Denn dort pachtete F. Oertel von 1870 bis 1880 den Kalkofen von Töpfermeister C. Krause. Zur gleichen Zeit ließ er am gegenüberliegenden Ufer, dem heutigen Oertelufer, die beiden Kalköfen errichten. Diese Rumfordschen Öfen waren moderner als der bisherige Kalkofen am anderen Ufer. F. Oertel, der das Grundstück mit dem alten Ofen erworben hatte, ließ diesen Ofen abbauen und verkaufte schließlich das Grundstück an die Elektrizitätswerke. Die beiden Kalkschachtöfen am Oertelufer sind als Industriedenkmal in einem ersten Bauabschnitt gesichert worden.

Auch ein Fabrikbesitzer wird nicht so ohne weiteres als Ehrenbürger geehrt. Lässt schon die Urkunde der Evangelischen Kirche erahnen, dass Franz Oertel sich für seine Gemeinde engagiert hat, so finden sich in der Zossener Chronik von Louis Günther weitere Anhaltspunkte. Danach war Franz Oertel von 1898 bis 1919 einer von vier Ratsherren in Zossen. S. 82.
Zeugt schon die Einführung des Rumfordschen Ofens von der fortschreitenden Industrialisierung, so wurden auch neue Verkehrswege benötigt.
„Die Chausseen von Zossen über Schöneiche Kallinchen nach Motzen bezw. Zossen über Telz nach Mittenwalde sind im Jahre 1885 fertiggestellt worden. Bis dahin führten nur sogenannte Sanddämme dahin, die nach der Dammordnung ebenfalls von den verschiedensten Gemeinden zu unterhalten waren. Biese Verpflichtungen sind wohl auch in diesem Falle durch die Beiträge der Gemeinden zum Chausseebau
abgegolten worden, ohne daß ein förmliches Ablösungsverfahren geführt worden ist.

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Stadt Zossen leistete zu diesen Chausseebauten 300 Schachtruten Feldsteine, die von dem Kalkbrennereibesitzer Oertel hier und Kiesgrubenbesitzer Henecke in Mellensse zu Preise von 38,30 M pro Schachtrute geliefert worden, also eine Ausgabe von 8490 Mark. S. 253.“ Schachtrute ist ein ehemaliges deutsches Volumenmaß für Baustoffe. Die preußische Schachtrute umfasst 4,4519 Kubikmeter.
Wer jetzt nachrechnet, wird feststellen, dass hier ein Schreibfehler vorliegen muss. Entweder lag der Preis bei 28,30 Mark oder der Gesamtpreis machte 11.490 Mark aus.
Zunächst seien die Steinlieferanten zu lässig gewesen, will heißen, sie haben zu langsam geliefert, so dass erst der Bürgermeister Regener „mit einem Donnerwetter“ dazwischenfahren musste. Kalkbrennereimeister und Kiesgrubenbesitzer benötigten diese Straßen offensichtlich nicht so dringend, denn sie wickelten ja ihre Transporte per Schiff über den Nottekanal oder andere Straßenverbindungen ab.

Ein anderer Streit sei zwischen der Stadt und Landrat Stubenrauch wegen der Kirschbäume an der Chaussee entbrannt. Streit zwischen Landkreis und Stadt ist also keine Erfindung der Neuzeit. Schließlich setzte sich der Landrat durch, keine Kirschbäume an der Chaussee. S. 253/244.

Mit der Industrialisierung löste auch das Dezimalsystem die herkömmlichen und örtlichen verschiedenen Mess- und Wiegeverfahren ab. Bis 1883 wurde noch mit der alten Ratswaage gewogen. „Da stellte der Kalkbrennereibesitzer Franz Oertel eine neuzeitliche Dezimalwage auf und wurde er nunmehr zum Ratswagemeister bestellt und vereidet.“ S. 351.
Mit der Industrialisierung entstanden auch Organisationen, die diesen Prozess begleiteten.
Im Jahre 1897 sei die Genossenschaft von den Landwirten der Stadt und denen der umliegenden Dörfer gegründet und das Molkereigebäude in der Wasserstraße 7 erbaut worden.

„Vorsitzender der Genossenschaft war der Kalkbrennereibesitzer Franz Oertel. Es war der Genossenschaft jedoch keine lange Lebensdauer beschieden. Schon nach wenigen Jahren wurde die Liquidation beschlossen und das Grundstück nebst den technischen Anlagen verkauft.“ S.294.

Unter Otto von Bismarck wurde am 15.Juni 1883 ein Krankenversicherungsgesetz verabschiedet. Mit diesem Krankenversicherungsgesetz wurden alle Arbeiter mit einem Verdienst von 2000 Mark und darunter versichert. Ein Drittel der Beiträge trug der Arbeitgeber. Zur Umsetzung dieses Gesetzes entstanden die ersten Ortskrankenkassen. Louis Günther nennt sie „Kasse für gewöhnliche und landwirtschaftliche Arbeiter, Dienstpersonal und Gesinde… Die Kassenverwaltungsgeschäfte wurden im Büro des Kalkbrennereibesitzers Oertel besorgt.“ S.445.
Franz Oertel hatte offenbar ein Interesse daran, dass für die Arbeiter Fürsorge für den Krankheitsfall getroffen wurde.
Da gerade Bismarck genannt wurde. Am 18. Oktober 1897 sei das Bismarckdenkmal eingeweiht worden. „Die hinter dem Denkmal stehende Gedächtniseiche stiftete und pflanzte Ratmann Oertel von hier.“ S.346.

Franz Oertel, Kalkbrennereibesitzer, Ratmann, Genossenschaftsvorsitzender, Stadtältester, Kirchenältester, ein Ehrenbürger eben.
Franz Oertel verstarb im Alter von 87 Jahren am 2. Februar 1937.
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1 Louis Günther: Stadtchronik Zossen. Die Seitenzahlen hat der Autor dem Exemplar der Chronik, welches ihm vorlag, durchnummeriert, da das Exemplar keine Seitenzahlen enthielt.
2 Vgl.: Lorenz Berlin: Die Kalkbrennerei Oertel. In Zossen ein märkisches Städtchen, Hrsg.: Heimatverein „Alter Krug“ Zossen e.V. S. 177-181.
Zossen, 21.05.2020

Text und Fotos: Dr. Rainer Reinecke

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