2010-04-19
Dies kann der Tisch aber nicht! Deshalb wird aufgeschrieben, was über ihn erzählt und in Erfahrung gebracht wird. Der Stirnwandtisch, der heute in der guten Stube im Heimatmuseum „Alter Krug“ in Zossen steht, stand nicht immer dort, aber ist ziemlich genau so alt wie der Alte Krug. Jedoch ohne dendrochronologische Untersuchung lässt sich das genaue Alter nicht exakt feststellen. Im Unterschied zu einem Vierbeintisch, wurden für die Stirnseiten des Tisches aus 3 bis 6cm starkem und eindrucksvoll gezeichnetem Kernholz Seitenwände gefertigt. Diese wiederrum wurden mit Querstreben und meist auch mit Fußbrettern verbunden. Jetzt war der Tisch so stabil, dass der Bauer, ohne Risiko für den Tisch, schon mal ordentlich mit der Faust draufhauen konnte.
Ursprünglich stand dieser Stirnwandtisch im Brenzschen Hause in Nächst Neuendorf. Im alten Fachwerkhaus war noch in der guten Stube aufgestellt. Doch dann nach dem Umzug 1908 in das unterkellerte Haus erfüllte er, wie in unterkellerten Bauernhäusern üblich, in der im Keller eingerichteten Wohnküche, seinen Zweck.
„Es ist der Tisch“ so Heinz Brenz (*18.04.1925 +07.02.2005) in einem Gespräch mit Heimatforscher Klaus Voeckler, „um den sich vieler meiner Vorfahren zu den Mahlzeiten einfanden. An diesem Tisch wurde gebetet, gegessen, Federn gerissen oder auch nur an kalten Winterabenden im trauten Familienkreis beisammengesessen, um alte Geschichten zu erzählen.“ In Zeiten ohne Radio und ohne Fernsehen hatten sich Großeltern, Eltern und Kinder noch viel zu erzählen. Wie in jeder Familie üblich, wurde bestimmt auch an diesem Tisch nicht nur gegessen und gebetet. So manchen Streit ums liebe Geld oder um die Erziehung der Kinder wird sich der Tisch wohl auch angehört haben, aber darüber schweigen Tisch und Erzähler. Das Federreißen war, wie aus Überlieferungen hervorgeht, in den Wintermonaten, meist nach der Weihnachtszeit, schon beinahe ein Ritual. In den ungeheizten Schlafkammern war es häufig so kalt, dass sich der Atem als Raureif an der Decke niederschlug. Da konnte nur ein dickes Federbett einen wohligen Schlaf garantieren. Jede Braut hatte auch ein solches Bett mit in die Ehe zu bringen. Dafür wurden die vom geschlachteten und inzwischen verspeisten oder verkauften Federvieh übrig gebliebenen Federn gerissen. Für eine einzelne Bauersfrau war das Abreißen der Federfahnen oder Dauen vom Federkiel an einem Tag nicht machbar. Die Bauersfrauen sprachen untereinander die Termine ab und halfen sich gegenseitig. Der Tisch wäre sonst für Tage blockiert gewesen. Auch die Kinder halfen häufig mit. Wenn so sechs bis acht Bauersfrauen um einen Tisch saßen, machten auch so manch wahre und erdachte Geschichten die Runde. Nach dem Großreinemachen, das Federzeug verkroch sich in alle Ritze, genoss die Runde dann noch ein Likörchen und ein deftiges Abendbrot. Diese Tradition hielt sich noch bis in die sechziger, vereinzelt auch bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Heinz Brenz vermutete, dass sein Tisch bereits im ersten Brenzschen Bauernhaus gestanden hat, welches 1784 durch einen neuen Fachwerkbau ersetzt wurde. Natürlich erfährt so ein gutes Stück auch manche Wandlungen. So finden sich am Tisch noch Reste mehrerer Ölfarbanstriche oder auch eines Linoleumbelages. Ursprünglich war der Tisch nur mit Leinölfirnis gestrichen. Am 19.04.2001 übergab Heinz Brenz diesen wertvollen Tisch dem „Alten Krug“. Nun steht er wieder in der guten Stube. Jeder Besucher kann sich jetzt an ihn setzen und seiner Phantasie darüber, was der Tisch wohl alles erzählen könnte, freien Raum lassen.
Text: Dr. Rainer Reinecke, nach Aufzeichnungen von Klaus Voeckler
Fotos: Klaus Voeckler
Text: Dr. Rainer Reinecke, nach Aufzeichnungen von Klaus Voeckler
Fotos: Klaus Voeckler